Urbane Biosphäre Berlin Reflexionen 28.10.2022

Wir treffen uns in einer Zeit, die ich als zerbrechlich bezeichnen möchte. Vier Menschen, die alle eine unterschiedliche Geschichte verbindet. Dan und David haben einen Projektantrag geschrieben und genehmigt bekommen. Ziel ist es, Wege zu finden, wie die Idee eines urbanen Biosphärenreservats lebendig werden kann. Sie fragten Sina und mich, daran teilzuhaben. Ich sagte spontan und ohne Zögern zu, hatte jedoch keine Idee, wie man sich diesem riesigen Thema stellen kann. Es soll darum gehen partizipative Methoden mit oder besser durch künstlerische Elemente anzuwenden, um das urbane Biosphärenreservat von Beginn an mit den Menschen zu denken und dabei Pflanzen und Tiere eine Stimme zu geben.

Schnell waren viele Informationen von Dan, David, Sina und mir auf einem Miroboard gesammelt. Zu viele, ich könnte nicht sagen, dass ich noch einen Durchblick habe. Es gibt Artikel zum Anthroprozän, zur Gentrifizierung. In einigen Artikeln werden die Rechte von Pflanzen und Tieren angesprochen, andere befassen sich mit partizipativen Methoden der Integration, Entwürfe von künstlerischen Zeichnungen sind zu entdecken. Mir schwirrt der Kopf … Alles ist mit allem verbunden, im Chaos die Verbindungen sehen. Die Zeit ist so zerbrechlich. In der Urkraine und in vielen Teilen der Welt ist Krieg. Es ist so leicht zu zerstören, viel schwieriger ist es, die zarten Verbindungen, die uns am Leben erhalten zu schützen, aufzubauen und zu stärken.

Während ich an diesem Projekt mit den dreien arbeite, lehre ich Konfliktmanagement und interkulturelle Kommunikation an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Gibt es jedoch schon eine Kommunikation, die uns mit der Natur verbindet? Ganz instinktiv wissen wir, dass ein Leben ohne Natur, unabhängig davon welchen materiellen Nutzen sie uns z.B. in Form von Nahrung bietet, nicht wünschenswert ist. Regelmäßig lasse ich in meinen Vorlesungen die Studierenden die Augen schließen, damit sie sich an einen Ort versetzen können, an dem sie sich sehr wohl fühlen. Zu 95 Prozent sind alle an einem Ort in der Natur. Und obgleich wir das spüren, haben wir keine Sprache, keine gemeinsame Kommunikation mit der Natur, oder doch?

Im Biosphärenreservat soll sich die Natur entfalten dürfen im Einklang mit den Menschen. An manchen Stellen wird die Natur auch weggeschlossen vor den Übergriffen von Menschen. Viele Personen antworten, wenn man sie fragt, ob sie in einem Biosphärenreservat leben wollen, dass sie befürchten, dass sie dann bald gar nichts mehr dürfen in der Natur – dabei ist es doch so wunderschön, sich im sonnigen Herbst ein lauschiges Plätzchen im Unterholz zu suchen, fernab der Wanderruten. Ich mit der Natur allein, ihren Duft einatmen. Wird das verboten, wenn das Biosphärenreservats in die Stadt kommt?

Wir erkunden den Norden von Berlin, Reinickendorf. Es gibt von hieraus eine Verbindung zum Naturpark Barnim. Ein Großschutzgebiet, das potenziell zum urbanen Biosphärenreservat gestaltet werden könnte, so das Ergebnis des Gutachtens, das im Auftrag des Berliner Senats angefertigt wurde. Einzige Bedingung: Die Berliner und Brandenburger wollen es und gestalten es mit. Dies rückt unser „kleines“ Projekt jetzt doch in ein anderes Licht. Unsere Erfahrungen mit ersten Interventionen mit Mensch und Natur können genutzt werden.

Wir beginnen mit einer Führung auf dem ehemaligen Tegeler Flughafen. An diesem Ort spüre ich die brutale Geschichte deutlich, wir dürfen nicht die ehemalige Landebahn verlassen, weil das Gebiet niemals von Bomben aus dem zweiten Weltkrieg geräumt wurde, denn Bauarbeiten mussten immer ganz schnell gehen. Erst wegen der Berliner Blockade und dann als die Franzosen mit ihrer Concord auch mal zeigen wollten, was sie technisch draufhaben. Hierfür musste die Landebahn erweitert werden, und schön asphaltiert. Zum Räumen der Bomben gab es keine Zeit. Wahnsinn, dass dennoch riesige Düsenjetmaschinen hier landen dürften über Jahrzehnte. Wie nah räumliche Gefahr und Sicherheit beieinanderliegen. Bleibt ihr auf den Wegen, seid ihr sicher.

Tegel soll jetzt eine „Urban Tech Republik“ werden, alle Anzeichen eines durchgestylten Marketings sind schon erkennbar, die Investoren setzen ihre Marke. Gentrifizierung nennt man das, modernste Infrastruktur, teure Forschung, die Feuerwehr wird hier ihre Ausbildungsstätte haben. Hier hat David seine Expertise und zeigt uns die Zeichen der Gentrifizierung, die ich wohl übersehen hätte. Am Rande entstehen Wohnungen. Uns wurde versichert, keine Luxus-Apartments, sondern auch Sozialbauten. Vielleicht kommt am Ende alles doch ganz anders. Die Zeiten sind zerbrechlich. 50 Prozent der Fläche soll Naturschutzgebiet werden und das hat mich dann doch überrascht, man denkt auch an die Tiere. Es sind Planungen im Gange, wie diese in ihren optimalen Lebensgewohnheiten unterstützt werden können, keine Barrieren um von einem Futterplatz zum nächsten zu kommen.

Aber wo bleiben die kreativen Räume? Wo kann sich hier etwas entwickeln, dass jenseits eines cooles Investmentportfolio entstehen will? „Urban Tech Republik“ klingt für mich wie ein durchgestyltes Konzept aus einer Investmentwelt, nichts Organisches. Wie sollen die Menschen sein, die hierin arbeiten? Welche Funktion sollen sie erfüllen und für wen? Partizipativ ist dieses Gebiet nicht entwickelt worden, auch spüre ich keine nachhaltige Entwicklung, eher abgetrennte Funktionen. Wäre ich hier glücklich, wenn ich hier arbeiten und wohnen würde?

Ich frage mich, während unserer Erkundungen, ob es nicht vielleicht so etwas wie eine Kernzone oder Schutzgebiete für menschliche Kreativität braucht. Orte an denen „out of the box“ gespürt werden darf? Ein Ort an dem ein anderer Ausdruck gelebt werden darf, was nicht in Worte gefasst werden kann und auch nicht messbar ist. Ein Ort, der nicht durchdacht ist, Chaos, Obdachlosigkeit – haben wir nicht auch ein Recht darauf?

Dan arbeitet mit Bewegungstanz und andere Arten von Performances, hiermit werden andere Aspekte, Energien ausgedrückt, die genauso real sind, wie die Kennzahl „Return of Invest“. Biete uns ein urbanen Biosphärengebiet die Chance genau hierfür Raum und Zeit zu schaffen? Ich glaube, wir brauchen diese Orte dringend, damit wir die Kommunikation zu unserer Mitwelt aufbauen und einen nachhaltigen Umgang mit einander erlernen dürfen. Alle die schon mal in großen Gruppen getanzt haben, kennen die Kraft, die solche Events in sich bergen und die Verbindungen, die darin geschaffen werden.

Es gibt eine Wissenschaftlerin, Nalini Nadkarni (https://www.ted.com/talks/nalini_nadkarni_life_science_in_prison), die erstaunliche Ergebnisse erzielte mit Gefangenen in Hochsicherheitsgefängnissen in den USA. Die Insassen veränderten sich, als sie begann mit den Gefangenen Pflanzen oder Frösche zu züchten. Auch mit Bilder von einer intakten Natur in Gefängnissen, konnten schon Veränderungen erzielt werden. Natur in eine statische Institution bringen, kann Systeme verändern, wenn wir die Perspektiven ändern.

Wir vier haben unsere Perspektiven geändert bei einem Spaziergang entlang des Tegeler Forstes. Jeder für sich, ohne sprechen, einfach schauen: Was passiert mit mir, was nehme ich wahr? Mir fielen gleich zwei orangefarbene Mülleimer mitten im Wald auf, die wirkten wie Fremdkörper und dann sah ich ihn schon überall: den Müll. Reiszwecken, die in Baumstämme gedrückt wurden, um damit irgendwelche Informationen zu verbreiten. Die Informationen sind weg, aber der Baum kämpft mit der Reiszwecke, umwächst sie, wird eins mit ihr. Ich habe manche Reiszwecke nicht mehr rausbekommen. Scherben, Zigarettenstummel. Und in einer Mülltonne fand ich dann auch noch 100 tote Fische, daneben der Anglerverein und ein Auto mit der Aufschrift Fish Freaks. Irgendwie war mit das zu viel. Wieso haben wir keine Kommunikation mit den Bäumen und der Natur und den Fischen, warum hören wir sie nicht?

In der Zeit, in der ich am Projekt beteiligt bin, kommen die Kogis nach Eberswalde, ein indigener Stamm aus Kolumbien. Gemeinsam mit dem Fachbereich Wald der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung erwandern wir uns gemeinsam den Wald in Eberswalde. Die Kogis erzählen uns etwas von Mutter- und Vaterbäumen und davon das es ein energetisches Netz gibt, von heilige Orte im Wald und Muttergeister hier leben. Sie mahnen uns, dass es enorme Auswirkungen auf das Gleichgewicht der Erde hat, wenn wir aus der Erde Ressourcen nehmen. Wir sollten alles wieder zurückgeben und auch nicht heimische Pflanzen würden das energetische Gleichgewicht stören und sollten entfernt werden. Ihre Forderungen wirken irgendwie merkwürdig und ich frage mich, warum diese Menschen, die als Hüter der Erde bezeichnet werden, anscheinend mit unseren Bäumen sprechen können. Hatten wir dieses Wissen nicht auch? Wurde das enorme Wissen über Pflanzen und Tiere mit der Hexenverfolgung verbrannt? In den Waldwissenschaften, werden viele der von den Kogis aufgeworfenen Aspekte bereits diskutiert, insbesondere was den Umgang mit nicht heimischen Pflanzenarten betrifft: Im Dialog bleiben, beobachten, die Perspektive wechseln… auch in der Wissenschaft.

Ich setze meine Wanderung im Tegler Forst fort, konzentriere mich nicht mehr auf den Müll sondern widme mich der Verbindung. Wie zeigt sich mir dieses Stückchen Erde jetzt? Ich sehe Zäune, die aber auch als Verbindung gesehen werden können. Menschen fühlen sich sicher, wenn sie entlang eines Zaunes wandern, keiner der aus dem Gebüsch springen kann. Pflanzen, die die Zäune als Kletterhilfe nutzen. Der Zaun als Grundlage für Graffiti eine künstlerische Ausdrucksform des urbanen Raumes. Wie können wir in der Abgrenzung die Verbindung sehen? Geht es uns darum Zäune abzureißen zu durchbrechen, damit wir eine Form der Freiheit ausdrücken oder geht es wieder darum genau hinzuschauen, für wen und in welcher Zeit bietet zum Beispiel ein Zaun auch eine Chance sich anzunähern?

Als Westberlinerin bin ich mit einem unüberwindbaren Zaun um meine Heimat groß geworden. Der war einfach schon da, bevor ich da war, er war in einem gruseligen Ausmaß selbstverständlich für mich. Bis er dann 89 fiel. Erst dann wurde mir klar, welche Schönheit der Natur ich jenseits des Zaunes in meiner Jugend niemals erkunden konnte. Wie viele sind gestorben, um die Freiheit hinter den Zäunen zu erreichen, wie viele müssen noch sterben?

Grenzen Biosphärenreservate ab? Nein, sie sollten uns eine Chance bieten, es wird keinen Zaun geben, wohl aber einige Verbote des Zutritts, dort wo Vögel nisten, Igel ihre Babys großziehen und Eichhörnchen ihre Winterkoben behausen. Ist das eine Chance für uns? Ich glaube schon. Das wird mir bei unserem weiteren Experiment, das David mit uns macht sehr deutlich.

Mit verbunden Augen und Kopfhörern auf den Ohren werde ich durch den Wald am Tegeler See geführt. Die Wahrnehmung meiner Umgebung ändert sich augenblicklich. Über den Kopfhörer werden mir Geräusche des Waldes laut ins Gehör gesendet. Rascheln, Rauschen, Vögel – es ist eine andere Sprache, die ich nur intuitiv erfasse, aber sie bewegt mich. Damit ich nicht stürze, muss ich Sina, die mich führt, vertrauen. Was ich höre, hat nichts mit meinen Bewegungen zu tun, es ist außerhalb von mir und bewegt mich doch tief im Inneren. Dieser Planet hält so viele Schätze bereit, warum verstehe ich seine Sprache nicht, welche Art der Kommunikation brauchen wir? Was verbindet uns?

Alles ist miteinander verbunden, dass weiß nicht nur die Physik: Mit den neusten Erkenntnissen der Quantenphysik ist dies auf der Ebene der Elektronen nun auch bewiesen. Aber warum verstehen wir das noch immer nicht? Welche Sprache brauchen wir, welche Kommunikation? Unser Herz, wenn wir es denn mal öffnen, versteht es. Aber noch immer wird die Sprache des Herzens belächelt als zu romantisch. Dabei wissen wir in durch die Neuroscience: ohne Emotionen können wir keine Entscheidungen treffen. Die positive Psychologie beschäftigt sich mit der Resilienz menschlichen Handelns. Sind wir in Angst haben wir nur ein sehr kleines Spektrum an Handlungsalternativen: Flucht, Angriff oder Resignation. Anders ist es, wenn wir gut drauf sind und uns sicher fühlen, dann haben wir so viele verschiedene Handlungsoptionen und werden kreativ. In der positiven Psychologie untersucht man, wie Menschen in diese Zustände gebracht werden können, damit wir unser gesamtes Potenzial ausnutzen können.

Sina führt uns dann zur Erde, wir sammelten alle eine Erdprobe an einem Ort, der für uns auf dem Spaziergang eine Bedeutung hatte. In dieser Erde leben so viele Lebewesen, Mikroorganismen, Pilze, wie es Menschen auf dem Planeten gibt. Wir formen den Erdklumpen mit etwas Wasser zu einer Kugel. Ich stelle mir vor, wie viel DNA und damit Informationen in diesem Erdkügelchen stecken, was ist das Wissen unsere Menschen dagegen, wenn wir immer noch nicht die Sprache verstehen, der Natur, aus der wir entstanden sind?

Wir leben gerade in einer zerbrechlichen Welt und wir fürchten den Wandel genauso wie den Stillstand. Wir wollen uns entwickeln und gleichzeitig sicher sein. Ein Dualismus, denn man in Biosphärenreservaten leben kann, ausprobieren kann. Ich habe Anlass zur Hoffnung, dass das Gespräch über diesen Dualismus uns auch einen Weg zeigen kann, der uns über Grenzen gehen lässt, die inneren und die äußeren.

Die Erfahrung, die ich mit Sina, David und Dan machen durfte, lassen mich auch ratlos zurück, als Wissenschaftlerin bin ich es gewohnt empirisch zu arbeiten, Forschungsfragen zu stellen, die ich dann mit geeigneten Methoden beantworten kann. So wie es z.B. die Bewusstseinsstudie (Joop) macht, um herauszuarbeiten, wie Menschen gegenüber der Natur in Biosphärenreservaten etc. eingestellt sind. Aber ich habe inzwischen Zweifel, ob uns diese Methoden dabei helfen werden, die Kommunikation mit unserer Mitwelt herzustellen.

Ich bin dankbar mit drei Künstlern unterwegs zu sein, denn nur so konnte ich selbst die Grenzen erfahren, die viel mehr im Inneren liegen.

Partizipative Methoden, die das Einbinden der Bevölkerung für ein urbanes Biosphärenreservat ermöglichen, so mein Fazit, sollten vielleicht eher über die Sinne gehen und weniger über den Intellekt, der mir in Bezug auf die Natur etwas rudimentär erscheint.

Katja Arzt, Berlin 28.10.2022